Begrabe mich, mein Schatz

Wie fängt man das Schicksal von syrischen Flüchtlingen am besten in ein Spiel ein? Eine Frage, die sicherlich nicht so einfach zu beantworten ist. Doch dieses Thema abzubilden ist in diesen Zeiten, in der es immer noch mangelndes Mitgefühl für das Schicksal der Flüchtlinge gibt, umso wichtiger. Besonders weil Spiele eine interaktiven Rahmen geben und so mehr für mehr Mitgefühl sorgen können.

Das französische Indiestudio The Pixel Hunt veröffentlichte nun in Zusammenarbeit mit Arte France sowie Playdius Entertainment, letztere sind auch die Publisher der äußerst empfehlenswerten Spiele "A Normal Lost Phone" und "Another Lost Phone", das Textadventure "Begrabe mich, mein Schatz". Dabei erlebt ihr die Geschichte eines syrischen Ehepaares, Nour und Majd, mit. Dargestellt wir das Spiel durch eine, an WhatsApp erinnernde, Messaging-App und greift das Gameplay anderer Textadventure wie der Lifeline-Reihe auf.

Am 30. September 2015 wird ein Anschlag auf die syrischen Stadt Talbiseh verübt. Nour, eine Krankenschwester in der Großstadt Homs, macht sich Sorgen um ihre Schwester, welche in Talbiseh arbeitet. Doch nicht nur die Sorge um ihre Schwester treibt sie um. Durch ihre Arbeit im örtlichen Krankenhaus wird sie jeden Tag die Schrecken der Kriege im Nahen Osten konfrontiert. Und wie wir später erfahren, wurden auch andere Mitglieder der Familie bereits Opfer der Anschläge.

Da war der Anschlag in Talbiseh nur noch ein Tropfen auf dem heißen Stein, der sie dazu bringt aus dem Land nach Europa zu fliehen. Ihr schlüpft in dem Spiel dabei nicht in die Rolle eines anonymen Menschen, wie in anderen Spielen des Genres, sondern in die Rolle ihres Ehepartners Majd. Dieser bleibt in Syrien zurück und fortan findet jegliche Kommunikation nur noch in der Messaging App statt. Im Laufe des Spiels gibt es dabei nicht nur viele Texte, sondern auch Bilder und Links, welche die Geschichte unterstreichen.

Mehr möchte ich über den Spielverlauf auch nicht verraten, am besten spielt ihr dieses Spiel ungespoilert. Was mich an "Begrabe mich, mein Schatz" am meisten begeistert, sind die gut geschriebenen Dialoge von Nour und Majd. Die Dialoge anderer Genrevertreter wirken auf mich häufig künstlich und gestelzt. Hier wurde im Writing mehr auf Authentizität geachtet und dadurch zieht mich der Titel mehr in den Bann als andere Genrevertreter. Sehr gut gefallen mir auch die unterschiedlichen Antwortmöglichkeiten. Mit diesen kann man Nour Ratschläge auf ihrer Flucht geben und sie sorgen für einen recht unterschiedlichen Verlauf der Geschichte. Insgesamt gibt es 19 mögliche Enden der Geschichte, über 50 Orte wurden in das Spiel eingebaut. Daher kann der Wiederspielwert als sehr hoch bezeichnet werden.


Allgemein gefällt mir der Titel von all den Vertretern der "neue Textadventure-Welle", die ich bisher gespielt habe, am besten. Durch die zahlreichen Fotos, welche euch Nour auf ihrer Flucht schickt, bekommt ihr auch eine optische Vorstellung der Orte an den sie sich befindet. Diese Bilder sind sehr schön gezeichnet - ich mag den zurückhaltenden Comicstil, welches durch die Fokussierung auf gezielte Aspekte in den Bildern sehr an Aussagekraft gewinnen. Auch die profesionelle deutsche Übersetzung ist gelungen.

Es gibt ja so manche "besorgte Bürger" hierzulande, die beispielsweise solche Sprüche wie "Die haben Handys, denen muss es doch gut gehen" vom Stapel lassen. Dazu sei gesagt, dass beispielsweise im Nahen Osten Handys kein Luxusgut wie hierzulande sind - und auch weit billiger verkauft werden. Zudem zeigt dieses Spiel, wie wichtig das Handy auf der Flucht ist. Es ist für die Menschen für viele Wochen und Monate das einzige Kommunikationsmittel in die Welt und zu den eigenen Angehörigen. Darüberhinaus gibt dieses Spiel Einblicke in die Schwierigkeiten der Flucht aus solch einem Land. Etwa wenn ein Schlepper Mondpreise verlangt und dann die Flüchtlinge auch noch übers Kreuz legt. Es gibt genauso Einblicke in die sehr häufig menschenrechtsverletzenden Massencamps, aber auch wie eine andere Kultur wie Syrien allgemein "so tickt". Das alles basierend auf Fakten und den Geschichten realer Flüchtlinge.

"Begrabe mich, mein Schatz" ist nicht nur handwerklich das bisher beeindruckendste Messaging-Textadventure, welches ich bisher gespielt habe. Auch die Geschichte ist spannend, wendungsreich und schon sehr bald kann man mit den gut geschriebenen Hauptcharakteren mitfiebern.

Preis: 3,49€


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